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Jg. 55 – 2007 – Heft 1: Waldgeschichte: Wälder im Spannungsfeld gesellschaftlicher Bedürfnisse, Konflikte und Projektionen

Editorial

Den Wäldern drohen heute weltweit neue Katastrophen und Belastungen. Das Klima verändert sich, die Stürme werden häufiger und verursachen verheerende Waldschäden, der Rückgang der Tropenwälder verschärft die ökologischen Konflikte. Waldvernichtung, Artensterben und Klimawandel sind Schlagworte, die seit einiger Zeit auch die Waldgeschichtsforschung beeinflussen. Im Zentrum der Kritik stehen international agierende Holzkonzerne, aber auch – vor allem auf dem amerikanischen Kontinent – in gleicher Weise global orientierte großagrarische Interessen, egal ob es sich um Engagement im Sojaanbau oder in der Rinderhaltung handelt. In die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sind außerdem Kleinbauern geraten, die – vor allem in Südostasien1 – durch traditionelle wie moderne Praktiken den Regenwäldern ebenfalls hart zusetzen.

Im Kontext dieser neuen Situation stellt sich eindringlich die Frage nach dem Wesen der Waldgeschichte und der Abgrenzung von Wald- und Forstgeschichte. Der Forsthistoriker Karl Hasel definierte die Forstgeschichte als „Lehre von den im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende sich verändernden Beziehungen zwischen Wald und menschlicher Gesellschaft“. Im Gegensatz zur Forstgeschichte sei Waldgeschichte „die vom Menschen nicht beeinflußte, allein durch die Kräfte von Standort und Klima getragene Entwicklung des Waldes in ur- und vorgeschichtlicher Zeit.“2 Angesichts dieser Begriffslage und unterschiedlicher Definitionen einzelner Wissenschaftler scheint es sinnvoll zu sein, von einer Wald- und Forstgeschichte im engeren sowie im weiteren Sinne zu sprechen. Kennzeichen einer Waldgeschichte im weiteren Sinne ist es, dass sie „neben den forstlichen auch sozial-, umwelt- und technikhistorische sowie kulturgeschichtliche Fragestellungen verfolgt.“3 Sie wählt ihre methodischen Ansätze und Forschungsthemen möglichst breit und sucht die Verbindung zu Nachbardisziplinen, vor allem zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie zur Agrargeschichte und Historischen Geographie. Sie beschränkt sich dabei nicht auf die Rekonstruktion vergangener Ereignisse und Prozesse, sondern widmet sich besonders der Aufdeckung sozioökonomischer und kultureller Hintergründe der im Wald langfristig ablaufenden Mensch-Umwelt-Beziehungen. Aufgrund ihrer interdisziplinären Ausrichtung tritt diese erweiterte Forst- und Waldgeschichte verständlicherweise in unterschiedlicher Form auf.

Die Forstgeschichtsschreibung blieb lange Zeit eine Domäne der Forstwissenschaftler. Bis vor einigen Jahrzehnten herrschte daher eine Forschungsrichtung vor, die unter einer überwiegend normativen Sichtweise besonders die Forstverwaltungs- und Forstnutzungsgeschichte sowie die Entwicklung des Waldbaus untersuchte oder in Form von Einzelbefunden und Regionalwaldgeschichten darstellte. Sozial-, wirtschafts- und umwelthistorische Aspekte kamen dabei oft zu kurz, während die traditionellen Inhalte der Forstgeschichte dominierten. Dazu gehörten Themen wie die Entwicklung der Waldflächen, die Problematik des Waldeigentums, die Genese der Forstgesetzgebung sowie die Geschichte der Waldnutzung. In welchem Verhältnis steht heute die Wald- und Forstgeschichte zu den Nachbardisziplinen? Richtet man den Blick auf die Historische Geographie, so beobachtet man dort seit einiger Zeit ein verstärktes Interesse an Themen zur Waldgeschichte im Kontext der Entwicklung von Wald und Siedlung. Wie die Forschungsgeschichte zeigt, waren die engen Beziehungen von Wald und Siedlung beständig ein Thema der Geographie. Robert Gradmann, der Altmeister der Siedlungsgeographie, betonte vor allem den siedlungsfeindlichen Charakter des Waldes in älterer Zeit; der Mensch habe deshalb zuerst die offenen Landschaften besiedelt und die waldreichen Mittelgebirge erst seit dem Hochmittelalter dichter erschlossen. Das von ihm entwickelte Gegensatzpaar Alt- und Jungsiedelland betonte diesen Antagonismus von siedlungsfreundlichem offenen Land und siedlungsfeindlichem, folglich spät erschlossenem Waldland ebenso wie die von ihm entwickelte Steppenheidetheorie. Spätere Studien von Helmut Jäger und anderen Geographen trugen dazu bei, Gradmanns Vorstellungen von der ‚Kulturfeindlichkeit des Waldes‘ zu relativieren, so dass der Wald in der neueren Forschung vor allem als Ergänzungsraum bäuerlicher und städtischer Wirtschaft gesehen wurde. In seiner grundlegenden Habilitationsschrift konstatierte Winfried Schenk 1996,4 dass historisch-geographische Untersuchungen zum Wald sich in der Regel nicht als Beiträge zur Geschichte eines bestimmten Forstes verstehen. Die Beschäftigung mit Wäldern erfolge in der Historischen Geographie vielmehr überwiegend aus einer übergeordneten Fragestellung heraus; die Auswahl und Abgrenzung der untersuchten Wälder ergebe sich gewöhnlich aus der Analyse vornehmlich rechtlicher, ökonomischer und ökologischer Reichweiten von Siedlungen. Auf diese Weise könnten auch weit von den Wäldern entfernte Räume und Prozesse erfasst werden, sofern sie mit deren Nutzung zusammenhingen. Im Kontext neuerer forsthistorischer Arbeiten, die den Wald als Teil des Gesamtenergiesystems und zugleich als gesellschaftliches Konfliktfeld behandeln, plädierte Schenk für eine problemorientierte Anwendung des topographisch-morphologischen Ansatzes als Kernkompetenz der Historischen Geographie. Damit beleuchtet er Handlungsfelder, die seit geraumer Zeit auch die Aufmerksamkeit der Wirtschafts- und sozialgeschichte gefunden haben: Die Untersuchung der Einflüsse von Viehhaltung und Jagd auf den Wald und auf Siedlungssysteme, die Verbesserung der vorliegenden Wald-Offenland-Bilanzierungen für bestimmte Zeitepochen sowie die Rekonstruktion der Methoden historischer Waldnutzungen mit der Absicht, deren Auswirkungen auf vergangene und aktuelle Waldzustände sowie auf die Böden und das Klima zu bestimmen.

Auch in der Geschichtsforschung entdeckte man gegen Ende der 1970er Jahre verstärkt die historische Dimension von Umweltveränderungen und in diesem Zusammenhang auch zunehmend den Wald. In Abgrenzung zur traditionellen Forstgeschichte entstanden eine Reihe von Forschungen mit einem dezidiert umwelthistorischen Ansatz. Die Anpassung der vorindustriellen Gesellschaft an die Grenzen natürlicher Ressourcen wurde untersucht, Wahrnehmungen und Lösungsstrategien im Umgang mit begrenzten Ressourcen und Umweltschäden ergründet.5 In einigen landesgeschichtlichen Studien wurde das Verhältnis von Wald und Siedlung intensiv behandelt und dabei vor allem die beiden Phänomene von Rodung und Wüstung, von Siedlungsexpansion und Siedlungsregression während des Mittelalters und der Neuzeit, detailliert analysiert. Die Rodungen zur Gewinnung von Siedlungsarealen und neuen Acker- und Weideflächen lichteten die Waldbestände Mitteleuropas vor allem vom 8. bis zum 13. Jahrhundert, wobei der Landesausbau besonders im Hochmittelalter einen Höhepunkt erreichte. Die mit der Viehwirtschaft verbundene Waldweide führte zusammen mit der Bevölkerungszunahme des Hochmittelalters zu einer sich steigernden Belastung vieler Wälder; die damals voranschreitende Erschließung der Mittelgebirge für den Bergbau und zur Holzkohlegewinnung trat zusätzlich als Faktor in Erscheinung….

Werner Rösener, Werner Troßbach

Inhaltsverzeichnis

Editorial S.8-14

Werner Rösener: Der Wald als Wirtschaftsfaktor und Konfliktfeld in der Gesellschaft des Hoch- und Spätmittelalters; S. 14-31

Winfried Freitag: Landbevölkerung, Forstpersonal und ‚gute Waldordnung‘ in der „Bayrischen Vorstordnung“ von 1568; S. 32-57

Siegfried Becker: Heilige Haine. Zur Grimmrezeption im „Dritten Reich“; S. 58-70

Günter Burkard: Die Konstruktion eines traditionellen Waldschutzes: Die Repräsentation von indigenem Wissen, Gewohnheitsrecht und lokalen Institutionen in einer Dorfgesellschaft in Zentral-Sulawesi (Indonesien); S. 71-94

Lieselott Enders: Grundherrschaft und Gutswirtschaft. Zur Agrarverfassung der frühneuzeitlichen Altmark; S. 95-112

Abstracts: S. 113-114

 

FORUM

Elke Schlenkrich, Ira Spieker: Alltag in der ländlichen Gesellschaft Sachsens zwischen Rétablissement und Erstem Weltkrieg – Aufbruch in die Moderne? – Ein Werkstattbericht; S. 115-121

Michael Fremerey: Soziale Organisation und Prozesse ökologischer Stabilisierung und Destabilisierung. Bericht über ein soziologisches Forschungsprojekt in der Regenwaldrandzone Indonesiens; S. 122-128

REZENSIONEN: S 129 – 164

Abstracts

Siegfried Becker – Holy Woods. The Adoption of the Brothers Grimm in Nazi Germany
After the proclamation of the Second Empire in 1871, the anthropomorphic treatment of Nature, whose mythical cadence could be heard resounding throughout the 19th century, was put to use to conjure up the grandeur and unity of nation and state, to assert legitimacy in the difficult relationship with Austria-Hungary. After the fall of the Wilhelminian Reich only the forest, that symbol of national unity, the metaphor for the soul of the people, seemed able to give protection from the dangers to order and morale in society. The defeated German Reich also reaped renewed strength and fresh armoury from the forest. The paths leading to the Third Reich were made smooth by a social Darwinism which left traces of an understanding of the need for the battle of survival even in reform training and committed pacifist statements. Hardly anywhere else than in those depictions of the life community of the forest – produced for wide public readership, especially for schools – is such a consistent representation of pre-Fascist and National Socialist ideology to be found.

Günter Burkard – The construction of traditional forest protection. The representation of indigenous knowledge, customary law and local institutions in a village community in Central Sulawesi (Indonesia)
The paper analyses some structural problems related to the construction of a “customary law community” inside the Lore Lindu National Park in Central Sulawesi, Indonesia. The resource management institutions of the village of Toro are generally perceived as being inherently sustainable, sufficiently fulfilling the Park Authority`s demand for forest conservation. However, rather than being indigenous creations of the ancestors, Toro’s institutions and principles are based on the state-defined notion of “community controlled land”, the existence of which is denied by the regional government and by neighbouring villages. Controlled by those who have access to certain bodies of relevant knowledge, the process of adequate “community representation” is characterised by a high degree of participatory exclusion. Whereas village leaders justify their claims to a “right of avail” (hak ulayat) in terms of local wisdom, common people perceive their claims to private property (hak milik) as crucial to socio-economic security.

Lieselott Enders – Rent providing holdings and manorial system. The agrarian structure of the Altmark in the early modern period
The classification of the agrarian organisation of the Altmark in the early modern period produces many problems, if you consider F. Lütge’s typology and compare the neighbouring regions east and west of the Elbe. Therefore I think a model more suitable, which is able to serve as base model for every type of agrarian system in Middle-Europe. The general term hould be “Grundherrschaft” referring to early modern times as well. The most distinctive mark is the management of the manorial land; the lords either still ran their own land or they had given up the self-management of the manorial estate. Further criteria for the classification of the agrarian system refer to the legal and social conditions of the peasants, the feudal burdens, to the privileges of the lords, the structure and organisation of the management of the manorial land.

Winfried Freitag – Rural population, forestry officials and ‚well ordered‘ woods in the ‚Bavarian Forestry Code‘ of 1568
In 15th and 16th century Bavaria a supraregional division of labour developed which went well beyond the borders of the state. Farmers, smallholders and casual peasant workers who lived near large forests by waterways made a considerable contribution to this development. They became either part or full time woodcutters, raftsmen, timber merchants, charcoal burners or wood turners. Some found work at lime- or brickworks, or they turned their hands to other timber trades. Without these small producers the towns and markets would not have been supplied with the energy, raw materials and products which they needed. The Duke attempted to curtail this development as it encouraged an increase in the population which in turn led to fears that the number of beggars and poor people would also increase. The second main theme of this paper is the code‘s lack of acceptance. One reason was the attitude of the forestry officials and the population, the other lay in the rules themselves which were often impossible to implement or sometimes not even intended to be implemented. Their main objective was to gain prestige, to make a public show of the good order that was claimed to exist in the forests of the Duchy of Bavaria.

Werner Rösener – Woods as economic factors and sources of conflict in the society of the high and late Middle Ages.
The enormous increase of population, the great expansion of arable land and the clearing of vast woodlands in the high Middle Ages led up to numerous conflicts about the use of woods and property rights. In the 14th and 15th century, however, there was a serious drop in the population and the number of deserted villages grew so that in many areas woods began to spread out again. Many territorial lords promoted the systematic planning and creating of forests, which they could use for economic profit and for hunting as well. In addition to the forests of the territorial lords there also existed common forests used by peasants and rural communities. The great significance of woods and forests for medieval economy and society is reflected in the numerous conflicts about the utilization of woods, which reached their climax in the peasants’ war in 1525.

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