Tagung 2022
Das Dorf in Fernsehserien
24. Juni 2022
Haus der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Frankfurt/Main, Max-Eyth-Saal
Organisatoren: Prof. Dr. Clemens Zimmermann, Dr. Gunter Mahlerwein
Tagungsbericht
von Antonia Schlotter (Universität des Saarlandes)
Was charakterisiert das Genre „Dorfserie“ als eigenes Phänomen und wie werden in ihm dörfliche Gesellschaftlichkeit, Charaktere und Konflikte repräsentiert? Dem Genre anhand von zahlreichen Beispielen sowohl deutschsprachiger als auch europäischer Produktionen auf den Grund zu gehen und aufzuzeigen, inwieweit Fernsehserien zur Repräsentationsgeschichte von Dorf beitragen und ein eigenes mediales Potenzial entfalten können, war Ziel der diesjährigen Tagung der Gesellschaft für Agrargeschichte.
In ihrer Einleitung gingen die Organisatoren Clemens Zimmermann und Gunter Mahlerwein zunächst auf die historische Verortung und Vorläufer jener Serien ein, die den ab dem Beginn der 1960er Jahre im US-amerikanischen und westeuropäischen Fernsehen ausgestrahlten Serien zugrunde lagen. Immer wieder auch gesellschaftlichen Konsens und Dissens aufgreifend, bildeten diese seit jeher mehr oder weniger deutlich ausgeprägt aktuelle Diskurse ab, und auch eine oft transnational geprägte Produktions-, Distributions- oder Adaptionspraxis kennzeichnete diese Serienformate von ihrem Beginn an. Wie sich das Genre in der Wechselwirkung von Produktion und Rezeption/Aneignung trotz seiner produktionsökonomischen Standardisierung und eines häufigen narrativen Schematismus verhält, ist ein noch offenes Forschungsfeld. Ebenso, inwieweit in den Serien angelegte kulturelle Konstruktionen tatsächliches Verhalten beeinflussten. Diskutiert werden sollte in den Vorträgen, welche Rolle Schauplätze und Lokalitäten innerhalb der Fernsehserienforschung spielen, welches „Bild“ von Dörflichkeit vermittelt, welche teils politischen Implikationen untergebracht wurden und wie es sich von tradierten Formaten wie dem Heimatfilm abhebt.
Im ersten Beitrag nahm Clemens Zimmermann (Saarbrücken) eine Definitionsbildung des Begriffs „Dorfserien“ vor, die im Gegensatz zum „Heimatfilm“ – der zwar lange als Begriff eingeführt, jedoch weiterhin kontrovers diskutiert wird – in der Forschung bislang unbeachtet blieben. Anhand eines Samples von vier deutsch- und zwei englischsprachigen Produktionen („Braunschlag“, ORF; „Unterleuten“, ZDF; „Tannbach“, ZDF; „Wilder“, SRF; „Ballykissangel“, BBC; „The Village“, BBC), die zwischen 1996 und 2020 ausgestrahlt wurden, konnten charakteristische Merkmale herausgefiltert werden. So zeichneten sich Dorfserien, über die Thematisierung ländlicher gesellschaftlicher Verhältnisse hinaus, durch eine besonders realitätsnahe Konzeption aus, die dörfliche Kultur und Akteur:innen sowie das Dorf selbst als Protagonisten hervorhebe. Im Gegensatz zum Heimatfilm stelle hier das Dorf keinen Sehnsuchtsort dar, auch finde keine Überhöhung des Landschaftsbezuges statt. Modernisierungsprozesse würden zwar thematisiert, die Gegensätze zwischen Land – Stadt/ traditionell – modern jedoch nicht scharf akzentuiert. Schließlich zeichneten sich die Dorfserien, laut Zimmermann, auch durch eine Integration von Elementen verschiedener Formate aus und weisen Anleihen aus den Genres Kriminalfilm, der Comedy und Satire auf. Diskutiert wurde im Nachgang die Frage, ob die „Transnationalität“, die Dorfserien auszeichne, im Falle von „Ballykissangel“ nicht vielmehr eine „Transkulturalität“ sei, da hier einem englischen Publikum irische Verhältnisse präsentiert würden. Zimmermann verwies darauf, dass kulturelle Transfers und Unterschiede, aber auch die Möglichkeiten zum Export, für den die Serien anschlussfähige Themen aufgreifen und nicht zu sehr auf einzelne Regionen spezialisiert sein mussten, im Begriff des Transnationalen enthalten seien.
Marjolaine Boutet (Amiens) beschäftigte sich mit der Frage, ob das Dorf im titelgebenden „Un Village Français“, einer französischen Produktion, die von 2009 bis 2017 ausgestrahlt wurde, tatsächlich ein „Dorf“ sei, und verdeutlicht an diesem Beispiel, wie es sich in französischen TV-Serien mit der Repräsentation des Landlebens verhält. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs sollten in der Serie die „grauen Felder“ der deutschen Besatzung Frankreichs beleuchtet werden – in Frankreich ein hoch kontrovers diskutiertes Thema, das auch in der politisch motivierten Kritik an der Darstellung der Kollaboration mit den Rechten erkennbar wurde. Boutet konnte hier aufzeigen, dass die Serie die Ambivalenzen in der Darstellung der Charaktere durchaus innovativ herausgearbeitet hat und wies dadurch eine Neuerung im Diskurs nach, der lange durch eine Schwarz-Weiß-Zeichnung und moralische Aufladungen geprägt war. Weniger ein Dorf als eine Kleinstadt, wird der fiktive Ort „Villeneuve“ mit deren idealtypischen Attributen ausgestattet, es findet daher kaum der Versuch statt, dörfliches Leben in den 1940er Jahren zu repräsentieren. Zwar hatte die Serie den Anspruch, den ländlichen Raum als Schauplatz nationaler Geschichte abzubilden, in dessen Fokus Résistance und Kollaboration eine zentrale Rolle spielten. Durch die Thematisierung von universellen Themen wie Beziehungen und Konflikten, die sich im mikrosozialen Raum des Ortes auch durchaus alltäglich abspielen, lässt sich die Serie jedoch fast mehr als historische Fiktion über das 21. Jahrhundert lesen.
Als „Labor des Sozialismus“ identifizierte Alina Just (Hamburg) das mediale Format der Dorfserie im DDR-Fernsehen. Begrifflich angelehnt an den vom Stadtforscher Heinz Reif geprägten Begriff der Metropole als „Labor des Fortschritts“, wird das Dorf als Arbeitsort begriffen, in dem ein Narrativ der sozialistischen Werteordnung ausgehandelt und medial präsentiert, politischer Opportunismus und gesellschaftliche Mehrheitsfähigkeit propagiert sowie – im Gegensatz zur Metropole – Uniformität statt Pluralismus dargestellt wird. Anhand der Fernsehserie „Märkische Chronik“ (DFF 1983/89), aber ebenso übertragbar auf andere Filme und Serien, zeigte Just auf, wie der Mikrokosmos Dorf idealtypisch als Gründungszelle des sozialistischen Staates inszeniert wurde. Als Vorzeigeprojekt politisch forciert, sollten eine „antifaschistische“ Grundierung des Plots, der Aufbauwille sowie zentrale Themen wie Krieg und das Ringen um Frieden im Vordergrund stehen. Ideologische Botschaften im modernsten und innovativsten Format der Fernsehserie unterzubringen, war vielversprechend und erfolgreich, da sie, mehr noch als Film und Literatur, dem Publikum die Möglichkeit gab, das Gesehene durch das langlebigere Sende- und Sehverhältnis über einen längeren Zeitraum hinweg zu diskutieren. Ein beliebiges Bild „des Dorfes“, ohne eindeutige Charakteristiken und durch alle Dörfer der DDR austauschbar, diente leitmotivisch als Folie für die Darstellung des Aufbaus der DDR und des sozialistischen Erfolgs, der im Dorf entsteht und zusammenläuft. Diskutiert wurde die Frage, weswegen die in der Serie dargestellten Umsiedler:innen mit einem derart positiven Image zu „Vorzeige-Antifaschisten“ stilisiert wurden, obgleich in der Realität ein eher negatives Bild vorherrschend war. Just zeigte auf, dass die Serie ein idealistisches Bild zu zeichnen suchte, indem Widersprüche eklatant geglättet und Anfeindungen nur angedeutet wurden und der Tenor der Serie ein integrierendes, die Eingliederung in die Dorfgemeinschaft betonendes Moment beinhaltete.
Christian Hißnauer (Berlin) wählte den „Tatort“, Deutschlands beliebteste Krimireihe, als Untersuchungsgegenstand, um die Veränderung in der Ästhetisierung der „Provinz“ und des Landlebens seit den 1970er Jahren im bundesdeutschen Fernsehkrimi zu analysieren. Anhand ausgewählter Episoden aus den Jahren 1973 („Jagdrevier“, NDR) und 1991 („Tod im Häcksler“, SWF) sowie jüngeren Produktionen seit 2017 (Ermittlerteam Tobler/Berg, SWR) und 2019 („Die Pfalz von Oben“, SWF) führte er drei mediale Diskursivierungsformen des Dorfes bzw. der „Provinz“ ein: Die Dörfer des Realen, des Allegorischen sowie die Dörfer des Fiktionalen. Überwiegt in den beiden älteren Fallbeispielen eine negative Darstellung des Dorfes, das als verschworene Gemeinschaft dem Eindringen von Fremden feindselig gegenübersteht und in der es somit nicht darum geht, Dörfliches realistisch abzubilden, sondern allegorisch die „Provinz“ als anachronistisch darzustellen, spiegeln die neueren Produktionen dagegen den modernen Diskurs wider, der das Dorf zunehmend als Entfaltungsraum wahrnimmt und für die Vorteile des Landlebens wirbt, es gar idealisiert. Erinnern die früheren Krimis eher an den Anti-Heimatfilm der 1970er Jahre, der die dörfliche soziale Interaktion und Netzwerkbildung mit der Assoziation des Mobs, des gemeinschaftlichen „Terrors“ und einer als verschlossen und fremd charakterisierten Welt negativ konnotierte, dominiert in den jüngeren Beispielen nicht mehr ein Blick von außen (und oben herab) auf das Land, sondern begreift die Protagonisten als Teil des ländlichen Lebens, für das ein genuines Verständnis vermittelt wird. Der veränderte Blick der Gesellschaft auf „das Dorf“ spiegelt sich so auch im Tatort deutlich wider. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die Vorurteilsstrukturen, die sich auf das Land als „verschlossene fremde Welt“ beziehen, eine lange Tradition aufweisen und sich bereits in der literarischen Gattung der „Dorfgeschichte“ wiederfinden. Auch offizielle Sichtweisen der Bürokratie auf das Land wiesen schon im 18. Jahrhundert eine „Nichtregierbarkeit des Dorfes“ nach.
Im Vergleich westeuropäischer Kinder- und Familienfernsehserien der 1950er bis 1970er Jahre machte Gunter Mahlerwein (Saarbrücken/Mainz) deutlich, dass Dorf und ländlicher Raum jenseits von historischen Serien, die im Mittelalter oder „Wilden Westen“ angesiedelt waren, als Ort der Spielhandlungen eine nur untergeordnete Rolle spielten. Dass die ländliche Gesellschaft im untersuchten Zeitraum von einschneidenden Transformationsprozessen beeinflusst wurde (Strukturwandel in der Landwirtschaft, Landflucht, Suburbanisierung, Industrieansiedlungen, Mobilitätssteigerung, Bildungsexpansion, Medienangebote, Kommunalreformen), spiegelt sich in den Serien kaum wider. So werden in skandinavischen Serien entweder ländliche Idyllen gezeichnet oder aber es wird in sozialkritischer Absicht der Blick auf Lebensbedingungen von Kindern in den Großstädten, aber nie auf dem Land gerichtet. In französischen Serien wird – auch politisch unterstützt – das Land stärker in den Fokus genommen, wobei aber vorwiegend auch eher pittoreske Eindrücke des Land- und Dorflebens wiedergegeben werden. Die spanische Serie „Cronicas de un pueblo“ (1971-1974) thematisiert dagegen auch die Modernisierung des Dorfes, war indes als propagandistische Serie der späten Franco-Jahre auf die Darstellung franquistischer Gesellschaftsideale ausgerichtet. Die Absenz von deutschen Produktionen rührte womöglich von einem in den 1960er und 1970er Jahren erkennbaren Überdruss an Heimatfilmen her, wodurch vermehrt (Vor-) Städte in den Fokus gerückt wurden. Die nach inhaltlichen Narrativen, Bildaufbau, Musik und Klang analysierten Serien zeigen deutlich, dass in allen Produktionen massenmediale Erzähltraditionen weitergeführt und das Dorf aus einer externen Perspektive beobachtet wird. In der Diskussion stand die Absenz deutscher derartiger Produktionen im Mittelpunkt, die darauf zurückgeführt wurde, dass auch das Heimatfilm-Genre in den 1960er und 1970er Jahren kaum mehr gefragt war und, ebenso wie in Dänemark, eher (Vor-)Städte als Schauplatz dienten.
Programm
Clemens Zimmermann/Gunter Mahlerwein: Einführung
Clemens Zimmermann (Saarbrücken): Anmerkungen zu „Dorfserien“
Marjolaine Boutet (Amiens): Is Un village français Really a Village? French TV Series and the Representation of the Countryside
Alina Just (Hamburg): Labor des Sozialismus. Erzählungen vom Dorf als Gründungszelle der DDR in der Fernsehserie „Märkische Chronik“ (1983/89)
Christian Hißnauer (Berlin): Der Häcksler, das Dorf und der Tod. Provinzerkundungen in der Krimireihe Tatort
Gunter Mahlerwein (Saarbrücken): Jenseits der Stadt. Dorf und Land in westeuropäischen Kinder- und Familienserien der 1950er bis 1970er Jahre